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SPEED | 27.04.2018 | Benedikt Böhm

Sea to Summit im Iran: Vom Kaspischen Meer auf den Damavand (5.671 m)

Aufgestützt auf die Stöcke ringe ich nach Luft. Jeder Muskel in meinem Körper schmerzt, meine Beine sind bleischwer. Noch zehn Meter, noch fünf…ich pfeiffe aus jedem Loch, geschafft! In der dünnen Luft erholt sich mein Körper nur schwer von den Strapazen, doch ich bin glücklich, überglücklich. Schmerz und Leid des harten Aufstiegs weichen der Freude und Euphorie. Das Gefühl des Glücklichseins am Gipfel ist kaum in Worte zu fassen, man muss es erlebt haben.

Ich stehe am Gipfel des Damavand, dem höchsten Berg des Iran. Hinter mir liegen 5.970 Höhenmeter und 130 Kilometer. 14Stunden und 20 Minuten habe ich meinen Körper gequält und meinen Geist überlistet. Auf Meereshöhe am Kaspischen Meer bin ich mit dem Fahrrad gestartet, anschließend umgestiegen auf Laufschuhe und später auf Skitourenski. Es war ein harter Kampf gegen mich selbst und sicherlich eines der intensivsten physischen Erlebnisse meiner Karriere als Speed-Bergsteiger. Dankbar und Zufrieden schweift mein Blick noch einmal über die mondähnliche Landschaft hinunter bis zum azurblauen Meer. Ich genieße den Moment. Noch einmal durchatmen bevor ich absteige.

Sonnenschirm und Badeutensilien versus Rad- und Skigepäck

Es sind Osterferien in Bayern. Um 11 Uhr treffe ich meinen Kollegen und Freund Alex am Flughafen München. Unter all den Reisenden sind wir die Exoten. Bepackt mit Fahrradtaschen und Skigepäck stechen wir aus der Masse der Badeurlauber deutlich heraus. Kaum verwunderlich, ist doch unser Vorhaben sehr unterschiedlich. Unser Ziel ist der Iran für eine Speedbesteigung des Damavand. Eine Woche haben wir insgesamt eingeplant den Berg vom Kaspischen Meer aus zu besteigen – inklusive Akklimatisierung und Ruhepausen. Selbst wenn das Wetter mitspielt, ist der Zeitplan dennoch äußerst eng gesteckt. Wir werden etwas Glück brauchen!

Keine sechs Stunden später checken wir in Teheran im Hotel ein. Noch einmal ordentlich schlafen bevor es am nächsten Morgen in Richtung Damavand losgeht. Der höchste Berg im Iran versprüht bereits aus der Ferne eine ganz besondere Anziehungskraft. Freistehend stellt er majestätisch die umliegenden Gipfel mühelos in den Schatten. Technisch gesehen ist der nur noch leicht rauchende Vulkankegel kein schwieriger Berg, der von nahezu allen Seiten begangen werden kann. Doch was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen ist der beißende Schwefelgeruch, der den Damavand ab etwa 5.000 Metern umgibt. Das sollte noch zur Herausforderung werden.

Akklimatisierung unter ungünstigen Voraussetzungen

Die nächsten Tage nutzen wir für die Erkundung der Strecke und zur Akklimatisierung. Ich habe viel trainiert in diesem Winter. Generell bin ich ein Mensch der die Höhe relativ gut verträgt und trotz geringerem Sauerstoffanteil in der Luft meine Leistung abrufen kann. Was mir jedoch zu schaffen macht sind die aktuellen Wetterprognosen. Der Gipfel des Damavand ist meist gänzlich in Nebel gehüllt. Im Moment wäre keine Speedbegehung möglich, da die Bedingungen am Berg unstabil sind und sich fast stündlich ändern. Wir können nicht abschätzen, ob wir ein günstiges Wetterfenster erwischen oder unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren müssen.

In diesem Wechselbad der Gefühle arbeiten wir uns akribisch vom Camp 1 in Reineh, einem kleinen Dorf am Fuße des Damavand Massivs, zu Camp 2 auf 3.020 Meter vor. Immer mit dabei das kleine Kamerateam, das uns auf der ganzen Reise begleitet. Das Wetter macht uns weiterhin große Sorgen.

 

Die meiste Akklimatisierungszeit verbringen wir in einer kleinen Hütte auf 4.200 Metern. Von dort aus starte ich Touren bis auf 5.100 Meter, um ein Gefühl für die Routenwahl zu bekommen. Generell liegt wenig Schnee. Erst ab 3.800 Metern kann ich die Tourenski anschnallen, was das ganze Unterfangen erschwert. Nur mühsam komme ich voran im dichten Nebel. Die Moral ist entsprechend im Keller und immer wieder kommen mir Zweifel über die Durchführbarkeit unseres Projekts. Die kleine Hütte trägt ihr Übriges dazu bei. Die Nächte sind eiskalt. Ungemütlich kriecht die Feuchtigkeit durch unsere Kleider und Schlafsäcke. Der kleine Benzinofen spendet nur wenig Wärme dafür stinkt er wie das Auspuffrohr eines alten Unimogs.

Alles oder Nichts

Die Tage vergehen ohne wirkliche Wetteränderung und langsam aber sicher geht uns die Zeit aus. Auf dem Weg zurück zum Kaspischen Meer gönnen wir uns etwas Erholung und tauchen in die iranische Kultur ein. Faiteh, unser Fahrer, zeigt uns die schönsten Ecken des Städtchens Mahamouabad. Wir stärken uns mit herrlich duftendem Kebap Fleisch, selbst gebackenem Fladenbrot und frischen Salaten. Exotische Gewürze und Gerüche liegen in der Luft und wir lassen uns treiben im geschäftigen Gewusel der Straßen. Immer wieder werden wir um Fotos gebeten. Instagram ist auch im Iran äußerst beliebt und blonde Europäer ein dementsprechend gefragtes Motiv.

 

Ein weiterer Wetter-Check lässt uns aufhorchen. Am morgigen Sonntag ist noch wechselhaftes Wetter gemeldet mit Tendenz zu Besserung. Am Montag zeigt das Radar dann ein stabiles Hochdruckgebiet ohne Niederschlag an. Das ist unsere Chance. Wir setzen alles auf eine Karte. Bereits am Dienstag geht unser Flug zurück nach München.

Von Null auf 5.671 m

Ich bin angespannt. Nach nur wenigen Stunden Schlaf starten Alex und ich um Punkt 1:03 Uhr am 10. April. Ich bin motiviert und topfit für die anstehende Herausforderung. Direkt vom Sandstrand aus steigen wir aufs Fahrrad. Die Bedingungen sind ideal: wolkenlos, 11 Grad, leichter Wind. Alex wird bei den folgenden 120 Kilometer die Führungsarbeit übernehmen. Radfahren ist seine Spezialdisziplin und er wird mich als Zugpferd über diesen Teil der Strecke begleiten. Wir fahren viele Kilometer auf dem Seitenstreifen der Autobahn um möglichst schnell voran zu kommen. Zu unserer Verwunderung sind bereits um diese Uhrzeit viele Menschen unterwegs. Die vorbeirauschenden LKWs machen uns das Atmen nicht immer einfach. Die ersten 50 Kilometer kommen wir gut voran. Danach wird es zunehmend steiler. Die ungewohnte Belastung beim Fahrradfahren macht sich bei mir zunehmend bemerkbar. Doch Alex hält das Tempo kontinuierlich und unbarmherzig hoch. So kommen wir nach fünfeinhalb Stunden auf dem Mountainbike in Camp 1 an.

Nach einer kurzen Stärkung machen wir uns auf die letzten 10 Kilometer der Radstrecke, die uns über eine steile, zerfahrene Schotterstraße führt. 1.000 harte Höhenmeter sind noch zu bewältigen, doch der Anblick des wolkenlosen Damavand gibt mir neue Energie. Zwei Stunden später erreichen wir Camp 2 auf 3.020 Metern Höhe. Zwei Energiegels und ein paar Schokokekse später stehe ich in den Laufschuhen bereit für den finalen Anstieg. Von hier aus geht es für mich alleine weiter. Die schweren Beine freuen sich über den neuen Bewegungsablauf und ich finde schnell einen guten Rhythmus. So bahne ich mir den Weg durch Schotter und die ersten Schneefelder zum nächsten Zwischenziel auf 4.200 Metern.

Ich pfeiffe aus jedem Loch!

Schon jetzt freue ich mich auf den Wechsel in die Skitourenschuhe. Der schnelle Aufstieg mit Ski ist meine Paradedisziplin und trotz der zunehmenden Höhe genau jener Teil der Besteigung, der mir vermutlich am leichtesten fallen dürfte. Schritt für Schritt steige ich weiter auf. Dabei schaffe ich es, meinen Körper mit einem mentalen Trick zu überlisten, indem ich mir einrede, dass ich gerade erst losgelaufen bin und keine 120 Kilometer mit dem MTB hinter mir habe.

Ab 4.500 Höhenmeter wird es jedoch richtig zäh für mich. Die Luft ist sehr dünn hier oben und ich habe das Gefühl kaum voranzukommen. Die monotone mondähnliche Landschaft am Damavand zehrt förmlich an meinen Kräften. Doch aufgeben ist keine Option. Im Gegenteil, mental peitsche ich mich Schritt für Schritt weiter nach oben bis ich endlich den höchsten Punkt des Damavand sehe. Das verpasst mir einen unglaublichen Motivationsschub. Zwar weiß ich, dass es noch eine weitere Stunde dauert, bis ich ganz oben stehen werde, aber die Gewissheit, dass der Gipfel in greifbarer Nähe ist, gibt mir neue Kraft.

 

Noch zehn Meter, noch fünf…ich pfeiffe aus jedem Loch, geschafft! Aufgestützt auf meinen Stöcken ringe ich nach Luft und werfe einen leicht verschwommenen Blick auf meine Uhr: 15:23 Uhr. Nach 14 Stunden und genau 20 Minuten habe ich es geschafft. Was für ein unbeschreibliches Gefühl!

Das Projekt in Zahlen “Sea to Summit – Kaspisches Meer zum Damavand”:

 

• Mountainbike: 120 km | 3.300 Höhenmeter
• Laufen: 4,7 km | 1.160 Höhenmeter
• Hike/Ski: 3,3 km | 1.470 Höhenmeter
• TOTAL: 130 km | 5.970 Höhenmeter | 14.20 Stunden