Wer die höchsten Berge der Welt im Speedstil besteigen möchte benötigt nicht nur herausragende Kondition und Erfahrung im Höhenbergsteigen, sondern auch einen eisernen Willen. Doch beim Höhenbergsteigen trifft Physis und mentale Stärke auf Situationen am Berg, die nicht vorausgeplant werden können. So hat es unsere Seilschaft kürzlich am Pik Lenin erlebt. „Da steckt man nicht drin“ sagte Beni Böhm nach der Skiexpedition am Pik Lenin.
In den einschlägigen Tourenportalen und Anbietern von Bergreisen wird der 7.134 Meter hohe Pik Lenin in Kirgistan als „idealer Einsteiger-Siebentausender“ beschrieben. Als erfahrene Höhenbergsteiger sollte das für unsere vierköpfige Seilschaft um Benedikt Böhm, Schorsch Nickaes, Michael Hasenknopf und meiner Wenigkeit, Michael Kalivoda, demnach eine nicht allzu schwere Herausforderung darstellen. Sollte man meinen!
August, vier Männer mit Skitourenski am Münchener Flughafen: 30° Celsius!
Als wir uns Mitte August 2017 mit Tourenski ins Pamir Gebirge aufmachten, um den Pik Lenin im Speedstil zu besteigen, wurden wir während der gesamten Anreise durchwegs mit kritischen und zugleich fragenden Blicken beäugt. Wen wundert es? Ist es doch gerade Hochsommer in Europa bei Temperaturen um 30° Celsius. In Kirgistan angekommen war die Situation ähnlich – wir waren die Exoten wie zuhause. Von Bischkek, der Hauptstadt Kirgistans, ging es direkt weiter nach Osch für die erste Nacht im zentralasiatischen Binnenstaat. Etwas müde, aber gespannt brachte uns am nächsten Morgen ein uralter Bus ins Basislager auf 3.600 Meter. Die Fahrt ins Atschik-Tasch Hochtal war dann mehr als abenteuerlich.
Höhenlager mit Vollpension
Maximal zehn Tage hatten wir für die Akklimatisierung inklusive dem Gipfeltag geplant. Das ist sehr kurz! Etwas anderes blieb uns allerdings nicht übrig, da die Besteigung des formschönen Siebentausenders ab Mitte August aufgrund des unbeständigeren Wetters zunehmend schwieriger wird. Deshalb verbrachten wir nur zwei Tage auf 3.600 Meter und stiegen anschließend ins Camp 1 auf 4. 400 Meter auf. Dieses Lager ist noch komplett mit Zelten, Küche und sanitären Anlagen ausgestattet. Die Vollpension mit landestypischer Küche war sehr schmackhaft und alles frisch zubereitet. „Was ein Service.“
Vom Camp 1 aus gewöhnten wir uns langsam an die Höhe. Zur Akklimatisierung bestiegen wir zunächst den Pik Ioxhna (5.096 Meter) zu Fuß, anschließend mit Ski den Pik Rasdelnaya (6.148 Meter) und ein Teilstück des Pik Lenin auf 5.688 Meter. Täglich checkten wir das Wetter für unseren geplanten Gipfelversuch am 26. August. Doch jeden Tag verschlechterte sich die Prognose. Wir waren gezwungen zu handeln und zogen den Gipfeltag zwei Tage nach vorne.
Nun war es Zeit die Gipfelstrategie für den 24. August festzulegen. Die Wetterprognose sagte passable Bedingungen für die Nacht und den Vormittag voraus. Allerdings mit starkem Wind. Ab Mittag war mit ergiebigen Schneefällen zu rechnen, das die Besteigung unmöglich machte.
Die Gipfelroute
• Vom Camp 1 wählten wir den Zustieg über den steilen Leningletscher über spaltenarme Seitengletscher und Moränengelände mit Ski am Rucksack.
• Vom Gletscherbruch mit Ski und Steigeisen zum Camp 2 auf 5.300 Meter.
• Oberhalb Camp 2 durch ein steiles Couloir auf den flachen Rücken bis zum 40 Grad steilen Hang mit 300 Höhenmeter zum Camp 3 auf Ski und Steigeisen.
• Über Camp 4 auf 6.400 Meter auf den langen Grat bis zum Gipfel des Pik Lenin auf 7.134 Meter mit Ski.
• Abfahrt mit Ski über die Aufstiegsroute.
Ab Camp 3 ist man den eisigen Höhenstürmen ausgesetzt, die den häufigsten Abbruchgrund am Pik Lenin darstellen und kürzlich zwei koreanischen Bergsteigern zum tödlichen Verhängnis geworden sind. Wir waren jedoch guter Dinge und packten unsere Sachen für den Gipfelversuch im Speedstil.
Pik Lenin im Speedstil – der Gipfeltag
24. August 2017: Um Mitternacht klingelte der Wecker und gegen 01:00 Uhr starteten wir den langen Zustieg über den Leningletscher auf der Normalroute. Wir kamen schnell voran. Bis Camp 2 auf 5.300 Meter war der Wind bei -20°Celsius noch einigermaßen erträglich. Doch kurz oberhalb von Camp 3 auf 6.100 Metern empfing uns, wie schon in den letzten Tagen der Akklimatisierung, der stürmische Nordwestwind. Da wir sehr gut in der Zeit lagen brachen wir kurz nach Sonnenaufgang gegen 07:00 Uhr in Richtung Camp 4 auf. Der böige Sturm wurde immer Stärker. Wir verschafften uns noch einen kurzen Überblick über die Abfahrt, die wir entlang der Aufstiegsroute geplant hatten. Der Grat war ziemlich abgeblasen und eine Skiabfahrt schien schier unmöglich. Deshalb beschlossen wir, nach dem Erreichen des Gipfels, direkt über die Nordwand in ziemlich direkter Linie vom Gipfel abzufahren. Nach dem kurzen „Line-Check“ ging es rasch weiter und kurz darauf erreichten wir Camp 4 auf knapp 6.500 Metern. Der immer stärker werdende Sturm setzte uns sehr zu. Unser Schritt verlangsamte sich merklich. An einen schnellen Gipfelversuch war nun nicht mehr zu denken. Nach kurzer Besprechung, in der wir uns regelrecht anschreien mussten, da der Sturm heulte, entschlossen wir uns schweren Herzens umzudrehen. Der Sturm kam inzwischen so stark von der Seite, dass wir immer wieder aus dem Gleichgewicht gebracht wurden. Das machte schnelles Weiterkommen unmöglich und gefährlich. Jetzt schnell die Felle abziehen, die Bindung auf Abfahrtsmodus stellen und die Schnallen der Tourenskischuhe einrasten. Auf zur Abfahrt!
Kurz darauf zog der Himmel auch schon zu und wir bahnten uns den Weg durch die vorbeirauschenden Wolkenfetzen nach unten. Kurz darauf setzte der erste leichte Schneefall ein. Wir hatten die richtige Entscheidung getroffen! Auch die Abfahrt über die Nordroute wäre unter diesen Bedingungen nicht mehr möglich gewesen. Alles richtig gemacht!
Zurück im Basecamp
Bei Vollverpflegung zurück im Basecamp wärmten wir unsere müden Beine. Nach der ersten heißen Suppe schauten wir trotz fehlgeschlagenem Gipfelversuch zufrieden auf unsere Expedition zurück. Der Gipfel des Pik Lenin ist durchaus als Tagestour ab Camp 1 durchführbar. Voraussetzung ist eine ordentliche Akklimatisierung, die wir definitiv nicht hatten. Zudem kam uns noch die schlechte Wetterprognose in die Quere. „Aber da steckt man nicht drin“ sagte Beni Böhm. Wir werden sicherlich wiederkommen, dann mit mindestens drei Wochen Zeit und etwas früher im Jahr. Ende Juni bis Anfang August wäre unserer Meinung nach die ideale Zeit den Pik Lenin in einem Zug von Camp 1 aus im Speed Stil zu besteigen.
Tourendetails
Ziel: Pik Lenin (7.134 Meter ) - zweithöchste Gipfel des Pamir Gebirges in Zentralasien und einer von fünf Gipfeln der russischen Schneeleoparden-Trophäe. Dieser Orden wird Bergsteigern verliehen, die alle fünf Siebentausender auf dem ehemaligen Gebiet der UdSSR bezwungen haben. Die anderen Gipfel sind Pik Ismoil Somino (7.495 Meter), Pik Korschenewskaja (7105 Meter), Dschengisch Tschokusu (7439 Meter) und Khan Tengri (7010 Meter).
Land: Kirgistan
Hauptsadt: Bischkek
Route: Normalroute
Teilnehmer: Benedikt Böhm, Schorsch Nickaes, Michael Hasenknopf und Michael Kalivoda
Pik Lenin Speed-Besteigung
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